
Frühjahrskollektion
Gedichte
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 2002
96 Seiten, gebunden, EUR 15,–
ISBN 3-518-41304-X
Stiller Sonntag Außer dem Zeiger der Uhr bewegt sich nichts von der Stelle. Die ermüdeten Vögel kamen schon gestern von ihrer Reise zurück, und auch die Seite des Buches, von der aus sie einmal weg und davon fliegen wollten, blieb wohlweislich gleich aufgeschlagen. Der Himmel sei nicht begehbar, sagen sie und lassen die Köpfe über einem Fachbericht hängen. Von Sonntag zu Sonntag, von Aufbruch zu Aufbruch, es ist immer dasselbe. Veränderungen gibt es nur noch im Farbdruck der Zeitung - das glühende Rot der Radieschen, der Zukunft zugewandt, das scharfe Gelb einer Spargelcremesuppe. Und daneben die Pötte, unabgewaschen. Kein Satz schrieb sich weiter, keine Liebe webte am Faden der Geheimnisses fort. Die Autos sind eingeparkt zum Victoriazeichen, die Volkszählung beginnt. Dein blauer Anzug im Fenster, das müßte reichen. Keine Zeit Kaum wache ich auf, habe ich schon keine Zeit mehr. Der erste Abgang der Hunde liegt bereits auf der Treppe, und auch das Postfach ist voll bis zum Anschlag. Alles mit Dringlichkeitsnachweis, Rückschein und Mahnfrist. Die Stimme im Rundfunk: gedämpft. Mit dem Land ginge es abwärts, heißt es. Kein Fußball, kein Tennis, das durchzieht, es ist die reine Aussicht auf gar nichts. Jemand kratzt an der Haustür und will, daß ich öffne. Es kann nur der Tod sein im Anzug eines Handelsvertreters mit Rabattangeboten. Er stiehlt Augenblicke und verkauft sie als Uhren. Ich täusche Demenz vor und überschlage, wie viele Jahre noch bleiben bis zum letzten großen Abflug. Das flackernde Licht vom Nachrichtenspeicher bestätigt das Ticket. Rettung, wenn überhaupt, kommt von den Fehlanzeigen. Zwischen den Zeilen 1 Es gibt viele schöne Dinge für ein Gedicht, die ein Gedicht nicht mehr brauchen, weil sie schon schön sind. 2 Dennoch, ich wollte sie nennen, alle, bis zur weißen Blüte der Kirsche. 3 Aber immer, zwischen den Zeilen, bleibt etwas übrig. Wintergedicht Leicht fällt das Jahr in den Schnee, und langsam sinkt auch das Licht. Schon sehe ich nicht, wo du bist. Und mit dem Dunkel dann ist, daß ich gar nichts versteh. An meinem Fenster vor Zeiten zogen die Schwäne vorbei. Ich fürchte, sie kamen nicht weit, weil es doch lange schon schneit, in allen Einsamkeiten. Schnee hat im weißen Schleier zum Rätsel nun alles vereint. Es schweigen die Bücher am Ende. Vielleicht, es sprechen die Wände. Die Raben über dem Weiher.