Kurt Drawert
Schriftsteller
Hörspiel nach Motiven aus „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert.
Fünf Frauen, heutig sie alle, machen in dem Hörspiel Mitteilung über sich selbst. Nacheinander berichtend, sachlich, ohne wertende Anteilnahme. Keiner Leben gleicht dem der anderen, nur in einem stimmen die Schicksale überein: jede leidet an unglücklicher Beziehung zum männlichen Partner, jede glaubt sich partnerschaftsunfähig, jede fühlt sich vom Mann im Innersten bedroht und sucht den Freitod.
Eingebettet sind diese fünf Selbstzeugnisse in (von einem Erzähler vorgetragene) Zitate aus Gustave Flauberts „Madame Bovary“. Und es gibt darüber hinaus eine Kommentarebene, auf der Stimmen von Männern und von Frauen, gleichsam chorisch gegeneinander agierend, das Erzählte, Berichtete aufnehmen und werten. Bewußt einseitig für die Frauen Partei nehmend, führt Kurt Drawert den Hörer so zu der bestürzenden Erkenntnis, daß die persönlichkeitszerstörende Abhängigkeit der Frau vom Mann sich in den letzten hundert Jahren nicht verändert hat.
Regie: Walter Niklaus
Sprecher:
Wolf Goette, Erzähler
Ellen Hellwig, 1. Frau
Marylu Poolmann, 2. Frau
Hannelore Schubert-Fleischmann, 3. Frau
Jessy Rameik, 4. Frau
Ursula Sukup, 5. Frau
Friedhelm Eberle, Stimmen M1, M4, männlich
Wolfgang Sörgel
Frank Sieckel
Werner Hahn
Monika Pietsch, Stimmen F1, F4, weiblich
Barbara Trommer
Ramona Lobnow
Käte Koch
Personen: Erzähler. 1. Frau. 2. Frau. 3. Frau. 4. Frau. 5. Frau. Sprecher.
Stimmen: M1 – M4 (männlich); F1 – F4 (weiblich)
1
Erzähler: Emma war in ihrem Zimmer beim Ankleiden, er näherte sich auf leisen Sohlen, er küßte sie auf den Rücken, sie schrie auf. Er konnte es nicht lassen, immer wieder ihren Kamm zu berühren, ihre Ringe, ihr Halstuch; manchmal küßte er sie mit vollen Lippen auf die Wange, oder es waren viele kleine Küsse hintereinander, ihren bloßen Arm entlang von den Fingerspitzen bis zur Schulter; und lächelnd und ärgerlich zugleich stieß sie ihn weg, wie man es mit einem Kind macht, das sich an einen hängt. Vor der Hochzeit hatte sie geglaubt, verliebt zu sein; da aber das Glück, das sich aus dieser Liebe hätte ergeben müssen, nicht eingetroffen war, mußte sie sich, wie sie meinte, getäuscht haben. Und Emma versuchte herauszufinden, was man im Leben unter den Wörtern „Glückseligkeit“, „Leidenschaft“ und „Rausch“, die ihr in den Büchern so schön vorgekommen waren, genau verstand.
2
Ein beliebiger Raum. Die Stimmen haben leichten Hallefekt und verteilen sich auf folgende Positionen:
M2 M3
M1 M4
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Position 1 2 3 4
M1: Sie liebte ihren Mann nicht.
M2; Sie liebte niemanden.
M3: Ihre Liebe war die bloße Einbildung von Liebe.
M4: Sie war in das Erlebnis verliebt,
M1: in den Zustand,
M2: in das extensive Gerfühl.
M3: Ihre ausschweifende Lust
M4: war das Resultat
M1: ihrer Empfindungslosigkeit .
M2: Wahrscheinlich litt sie unter Anorgasmie.
M3: Die jeweilige Unbefriedigtheit bildete den Grund
M4: des erneuten Wunsches.
M1: Die Mechanik des Dauerbegehrens.
Nirgendwo tot sein, Emma, Fragment
Hörspiel, Funkhaus Berlin
US: Mitteldeutscher Rundfunk 1991
Erstsendung: 9.5.1991