Kurt Drawert
Schriftsteller
Das erste Buch mit Gedichten von Kurt Drawert im Suhrkamp Verlag ist 1989 erschienen und in Erinnerung geblieben: Privateigentum. Ein Dichter und Dramatiker, ein Erzähler und Essayist, der seine „hineingeborene“ Kindheit bei Berlin verlebte und den die Städte Dresden und Leipzig prägten, gibt nun einen poetischen „Zwischenbericht“ nach dem „Ortswechsel“ von Sachsen nach Niedersachsen.
Wo es war – der Abschied, aber auch die Suche nach den inneren Orten einer privaten wie kollektiven Geschichte durchzieht einen Teil von Kurt Drawerts neuen Gedichten. Sie sprechen von einem, der „unterwegs“ ist und „nur die Dinge im Koffer/ sind noch aus einem Leben geblieben,/ das ich geführt haben muß./ Sie erzählen ins Leere/ wann etwas war, und bleiben/ zerbrechlich.“ Diese Gedichte, die ihre Zerbrechlichkeit auch in strenge poetische Formen zu zwingen wissen, sind auf den Spuren der Vergangenheit – einer verloschenen Geschichte und wie verloren wirkenden Biographie. – Kurt Drawerts neue lyrische „Inventur“, so öffentlich wie privat gesprochen, lebt von ihrer intellektuellen Unbestechlichkeit und rückhaltlosen, radikalen Behauptung.
»Drawerts lyrisches Sprechen … leistet mehr als eben nur DDR-Inventur. Die deutschsprachige Literatur, so läßt sich sagen, hat einen Lyriker mehr, den zu lesen sich lohnt, auch wenn es demnächst keinen Staat DDR mehr gibt.«
Wolfgang Emmerich, Radio Bremen am 19.4.1990
»Die heute dreißigjährigen Dichter haben, wie sie selbst salopp sagen, nicht viel mit der alten DDR am Hut gehabt. Die Werte, für die die Generation vor ihr gekämpft hatte, die waren schon längst fragwürdig geworden, ja einfach nicht mehr auf der Tagesordnung. Bei Kurt Drawert kommt die DDR so gut wie nicht vor – oder doch? Vielleicht gerade in der Negation, in der Rettung privater Räume, in der Hochschätzung des Traums, im Freihalten der Sprache als Klartext und vor allem – im Beharren darauf, daß die Empfindungen des Lyrikers Privateigentum sind.«
Aus: »Die neuen Ich-Gefühle. Neunzig Gedichte von Kurt Drawert« von Hans-Jürgen Schmitt, Süddeutsche Zeitung am 4.4.1990
»Hermetisch sind diese Gedichte nicht, im Gegenteil: der Leser, der sich ihnen überläßt, wird unauffällig vom einen zum anderen gezogen oder geleitet. Denn die Abfolge, die rhythmische Anordnung ist so sorgfältig, so unauffällig folgerichtig, wie man das in Gedichtbänden nur selten findet; da scheint nichts dem Zufall überlassen, doch sind die Fäden zwischen den einzelnen Texten locker gelegt. (…) Schreiben als Bewegung, als Befreiung, dem Gehen anvertraut, dem Gehen abgelauscht: das ist das eine. Poesie als Bestandsaufnahme der erfaßbaren Welt, die Bewegung erst ermöglicht oder bewußt macht, das ist das andere. Es ist das Thema des großen, des merkwürdigen, des sekundenlang befremdenden, dann ganz überzeugenden Gedichts, das Drawert selbstbewußt ›Zweite Inventur‹ nennt.«
Aus: »Rückblende. Gedichte von Kurt Drawert« von Elsbeth Pulver, Neue Zürcher Zeitung am 9.3.1990
»Obwohl Drawert seine Mittel sparsam einsetzt (die Bildkonstruktionen sind eher handwerklich solide als spektakulär), verhindert seine komplexe Sicht auf die Dinge und Vorgänge ein Nachlassen der Sprachintensität, ein Verfallen in die formelle Wiederholung teilweiser Erkenntnisse bei der Forschung nach einem Lebenssinn. (…) In den Gedichten Kurt Drawerts findet sich nichts Appellatives, aber sie sind Angebote zum Dialog.«
Aus: »Projektion einer deklinierten Welt« von Hubert Schirneck, Mittelbayerische Zeitung am 10./11.3.1990
Im Klartext
Bei gleichen Lichtverhältnissen,
gleicher schwieriger Luft, gleicher
flacher Atmung, bei einer Kleidung,
die keinen Windzug mehr aushält
und schon mürbe im Schaufenster hing
solcher Tage, die namenlos
und verwunschen vom Frühjahr
sinnleer und staubig vergingen,
bei gleicher Verfügung der Sprache
über die Wörter wie der eines Vaters
über sein Kind, das mit schmutzigen Händen
nach Haus kommt,
bei aller Wiederholung und wiederholten
Wiederholung der Ignoranz,
die man zu ignorieren geübt ist,
bei allen Geschichten eines planmäßig sterbenden
Sommers in verhunzter, verdorbener Landschaft
von Häusern, dessen Wände die Zeichen
der Liebenden leugnen,
und bei aller Geschichte,
die sich schnell überrundet
und abholzt und wegschmeißt,
ist einiges tatsächlich anders geworden.
Mich beispielsweise, lieber Czechowski,
interessiert tatsächlich nur noch
das Privateigentum an Empfindung,
der Zustand des Herzens, wenn die schwarze Stunde
am Horizont steht, die Würde der Scham
und das Ende des Hochmuts. Wer will,
mag die fehlenden Tassen im Schrank
meiner Herkunft beklagen, ich
habe den Fahrplan gelesen, die Koffer gepackt
für die Reise ins eigene
innere Land. Und vielleicht
ist auch das schon
nur noch im Traum von Bedeutung.
Andere Arbeiter, ein anderer Herbst
Unverständlich und klar
liegen in ihrer Geschichte
die Dinge begraben.
Alles hat seinen Anfang
und seinen Krebs –
eine Empfindung von gestern
zur Stunde. Die Frau
und ihre gealterte Katze,
in deren Körper die Zeit
sich bewegt, zählen die Schnitte
auf der Platte des Tisches
den Tagebuchseiten
hinzu. Im Hintergrund
das bekannte Geräusch
der Fabrik. Andere Arbeiter,
sagt man, ein anderer Herbst,
wie es im Buch steht
und vorauszusehen war.
Und überhaupt
du verstehst
das nicht mehr, diesen Luftsprung
von gestern und sein lautloses Ende.
Die höfliche Abwinkbewegung der Hand
hat eine lange Geschichte –
voller Realitätsprinzip, Schüssen
aus offenen Fenstern und ganz einfach
abgeknallt werden.
Jeder trägt sein Halstuch,
solange er kann,
vor pünktlich fallendem Laub,
erwartet und abgehakt.
Die Biografie schreibt sich leicht
auch nebenbei und ohnehin
von den andern. Im Film geht sie gut
noch etwas weiter, baut sich
vom Abgang her auf
und macht dir gehörig viel Spaß.
»Privateigentum«
Gedichte
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 1989
es 1584, 138 Seiten, DM 10,00
ISBN 3-518-11584-7