Kurt Drawert

Schriftsteller

Der Körper meiner Zeit. Gedicht

„Der Körper meiner Zeit“ ist ein Langgedicht in fünf Teilen, eine fortlaufende lyrische Bewegung markierend, die die Jahreszeiten, bestimmte Orte und Themen miteinander verknüpft, das Begehren, die Liebe, das Nichts und den Tod. Und wie immer bei Drawert, die Möglichkeit des poetischen Sprechens überhaupt. In erzählerisch weit ausholenden Versblöcken, in freier oder gebundener Rede, melancholisch, ironisch oder sarkastisch, bildstark und reflektierend, wird aus diesem Körper der Sprache ein Körper der Zeit. Er nimmt die Verwerfungen des Gegenwärtigen auf wie die Sehnsucht nach Dauer und Anwesenheit des sprechenden, lyrischen Ichs. Ein starkes Motiv ist die Trauer um eine scheiternde, große Liebe, der im Innersten widerfährt, was auch in der Welt ist. Fritz J. Raddatz, der Teile des Gedichts kannte, schrieb: „Kurt Drawert ist es gelungen, in makelloser Sprache, in brennenden Bildern zu bannen, was unser aller Existenz ausmacht: das Elend der Suche nach Glück.“ Beigeordnet ist eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotos, die den Blick vom Schreibtisch auch zu einer Topographie des Textes werden lässt: „Blicke auf nichts“.

»Auch sein neues Werk giert nicht nach Lesern. Es lässt sich aber entdecken. Der Körper meiner Zeit ist ein Langgedicht von zweihundert Seiten, eingeteilt in 88 Abschnitte, die man auch als einzelne Poeme lesen kann. Die Einteilung in Strophen ist streng, der Duktus dagegen prosaisch gelockert. (…) Die Gedichte, auch wenn sie streckenweise im Selbstgesprächsmodus verbleiben, bieten die Vergnügungen des sprachlichen Ausdrucks: griffige Formulierungen, starke Bilder, funkelnde Paradoxe, geschliffene Sentenzen, trockene Kalauer. Eine schöne Formel: „Der Reim kehrt zurück ins geplünderte Herz. Wer erst einmal Eingang in dieses Buch gefunden hat, wird es als eines der ergiebigsten Werke der deutschen Gegenwartslyrik erfahren, als ein Vademecum für geplünderte Herzen.«

Aus: Wolfgang Schneider: »Tief im Holunder verrottet der Plunder. Kurt Drawert reist mit einem Langgedicht durch die Welt und findet die Vorhölle doch ganz nahe.«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. April 2017

 

»Tief im Holunder verrottet der Plunder«PDF Download

 

 

»›Ich bin das Unglück von beiden Seiten seiner / Wirkungsgeschichte‹: Wer mit solchen Versen die poetische Vermessung der Welt beginnt, der hat wenig Aussichten auf die Leichtigkeit des Seins. Wie viele große Lebensbücher der Moderne entfaltet Kurt Drawerts Langgedicht Der Körper meiner Zeit den Versuch eines gefährdeten Ichs, den Abgrund der eigenen Existenz auszuleuchten. Ein zersprungenes Subjekt besichtigt den ›Scherbenhaufen‹ des eigenen Lebens und topografiert mithilfe poetischer Ortserkundungen die eigene Misere. (…) Am Ende zerfallen dem Subjekt nicht nur die Illusionen der Liebe, sondern jede Aussicht auf eine verlässliche soziale Bindung: ‹Mein zer-/sprun-/genes Subjekt erkannte mich wieder und sah zu, wie ich mir sel-/ber ein Streitfall ohne Auflösung war.‹ Der große Existenz-Gesang des Dichters Kurt Drawert verkehrt Hölderlins Hoffnung in ihr Gegenteil. Seine poetische Rede strebt aus den Begrenzungen und Starrheiten heraus, aber nirgendwo wächst das Rettende: ›Komm!, ins Geschlossene, Freund-/in!‹«

Aus: Michael Braun: »Das zersprungene Ich. Die eigene Existenz singen: Kurt Drawerts Langgedicht Der Körper meiner Zeit. « Der Tagesspiegel, 3. März 2017

 

»Das zersprungene Ich«PDF Download

 

 

»Kurt Drawert gelingt in seinem sechzigsten Jahr etwas, was große Dichtung auszeichnet: Eigene Befindlichkeiten stimmig mit den mondialen Aporien unserer Zeit zu verknüpfen, die Ich- und Welträtsel mit genauer Reflexion der schwierigen Relationen zwischen Ich, Sprache und Welterkenntnis. Hinzu tritt, dass das unausweichliche Parlando des Langgedichts wieder und wieder über die Dichtheit des semantischen Netzwerfens hinwegtäuscht. Oder wie der Sprecher resümiert: ›Auch wenn am Ende ales endet am Anfang, folgt jeder Weg/anderen Wegen wie die Linien den Linien im zersplitterten Glas.‹«

Aus: Peter Geist: »Linien im zersplitterten Glas. Zu Kurt Drawerts Der Körper meiner Zeit«, in: TEXT + KRITIK, Nr. 213, Januar 2017

 

 

»Ein Poem, das seinesgleichen sucht; in der zeitgenössischen Lyrik steht es jedenfalls einsam da, zugleich an vorderster Front: Kurt Drawert hat eines seiner schönsten Gedichte, sein Heimatgedicht C-Dur (nach zwei Jahrzehnten) wieder aufgenommen, unter den neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einer kritischen Revision unterzogen und schließlich mächtig ausgebaut, und zwar fulminant.«

Aus: Johann Holzner: »Ein neues Wintermärchen. Kurt Drawert Gedicht Der Körper meiner Zeit«, literaturkritik.de

 

Zum Artikel auf der Website literaturkritik.de

 

 

»Bei aller Melancholie oder resignierter Stimmung ist diese auf eine alltägliche Weise weltläufige Poesie aber auch von komischen und komödiantischen Wendungen durchzogen, von Scherz und Witz, oft von bösem Sarkasmus. Eben zitiert er noch Lacan, schon greift er parodistisch in die Kiste des hohen Tons. … ›Dann war es schlagartig dunkel, und auf die sanften/ Brüste der Erde legte sich die Seide des Tages und ließ/ die Farben der Liebe noch einmal prächtig erblühen,// so im zarten Rosa der letzten Saison – hier, im Modehaus/ next to the cemetery.‹ So nebenbei zeigt er uns seine meisterliche Beherrschung unterschiedlicher Stile und poetischer Techniken, die er aus den Rissen einer depressiven Stimmung hervorblitzen lässt und mit einer komischen Volte vorführt: … ›Gestern, als ich zu Merz nach Aarau fuhr und der Zug kam/ an, so stolz wie ein Schwan, wenn er auf Seerosen landet.‹«

Aus: Bernd Leukert: »Sehr gerne fremd. Kurt Drawerts Gedichtband Der Körper meiner Zeit«. faust-kultur

 

Zum Artikel auf der Website faustkultur.de

 

 

Podcast, Deutschlandfunk/Büchermarkt, 16. Mai 2017, Volkmar Mühleis/Kurt Drawert

 

 

»Das lyrische Ich behauptet sich, immer wieder, indem es sich verflüchtigt. Es entzieht dem Interpreten den Boden durch Sätze wie: ›Wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass ich immer nur lüge.‹ Das Gedicht lässt sich nicht fassen, nicht festlegen, schon windet es sich und entzieht sich – und darin liegt seine subversive Kraft. ›Es gibt nur einen Ort, sich selbst nie zu treffen, und das ist / die Sprache.‹ Der Lesende bewegt sich wie in einem Zug, der in einer Möbiusschleife zwischen Erfindung und Wirklichkeit gefangen ist. (…) Der Körper meiner Zeit ist ein Langgedicht, das Maßstäbe setzt. Ein Zusammenbruch, und gleichzeitig ein Fest des Intellekts. Es ist ein Text, der sich selbst vollkommen genügt. Und doch, er sucht den Austausch. Ein Meisterwerk.«

Aus: Martina Weber: »Die Verteidigung des Subjekts in seiner Auflösung. Zu Kurt Drawerts Gedicht Der Körper meiner Zeit«, in: poetenladen, 11.12.2016; OSTRAGEHEGE, 1/2017

 

»Drawerts (Strophen) zehren von einer enormen Bildkraft, die sich in Metaphern von großer Schönheit entlädt.«

Ulf Heise, Freie Presse, 21. Januar 2017

 

 

»Bewundernswert ist, wie Drawert immer wieder überraschende, plastische Bilder findet, Formulierungen, die in ihrer Schärfe sich ins Papier zu ätzen scheinen. (…) In aller Trockenheit musiziert sich das aus, mit beeindruckender Beharrlichkeit.«

Eberhard Geisler, Die ZEIT, 19. Januar 2017

 

 

»Ein imposanter Versuch, aufs Ganze zu gehen, ein poetisches Projekt, das seinesgleichen nicht hat in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik.«

Beate Tröger, SR 2, 18. Januar 2017

 

 

»Elegische Formulierungen vermitteln dem Leser ein Gefühl der Schwerelosigkeit, sie sind geprägt von Meisterschaft.«

Ulf Heise, Leipziger Volkszeitung, 18. Januar 2017

 

 

»Drawert ist als kritischer Poet ein Tausendsassa in allen literarischen Genres

Tomas Gärtner, Dresdner Neueste Nachrichten, 18. Januar 2017

 

 

»Seine poetische Rede strebt aus den Begrenzungen und Starrheiten heraus.«

Michael Braun, Die Rheinpfalz, 10. November 2016

 

 

»So radikal, wie man ihn kennt, hat Drawert seiner neuen Erzählung die Form eines Langgedichtes gegeben, mit wechselnden Rhythmen und Versformen, aber so konsequent strukturiert, dass die Wirkung nicht ausbleibt: Der Leser, ist er erst einmal in diesen Wortfluss gestiegen, wird Teil des Gedankenstroms, aus dem immer wieder starke Bilder aufragen.«

Johannes Breckner, Darmstädter Echo, 24. Oktober 2016

 

 

»Er versucht, Zeit im Textkörper zu verräumlichen, sich Gegenwart zu erschreiben, sich in sie einzuschreiben. Das findet Ausdruck in manchmal humorvollen, manchmal dem Verzweifeln nahen Versen.«

Beate Tröger, Der Freitag, 13. Oktober 2016

 

 

»Drawert, der als literarisches Multitalent (Lyrik, Essay, Roman) noch immer deutlich unterschätzt wird, ist ein akribischer Wortarbeiter, der weiß, dass Gedichte, ob lang oder kurz, letztlich nur aus einem bestehen: aus Sprache.«

Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 8. Oktober 2016

 

 

»fulminant«

Martin A. Hainz, Fixpoetry, 27. September 2016

 

 

»Ein unerhört spannender Trip!«

Kurier am Sonntag, 20. August 2016

 

 

»Drawert ist es gelungen, in makelloser Sprache, in brennenden Bildern zu bannen, was unser aller Existenz ausmacht: das Elend der Suche nach Glück. Sein Poem ist ein großer Gesang.«

Fritz J. Raddatz, DIE WELT 25./26.1.2014

 

 

»Kurt Drawert hat Standards gesetzt.«

Axel Helbig, Dresdner Neueste Nachrichten

Inhalt

Buch (1) O Odenwald
Buch (2) Das Buch Klara. İstanbul (I)
Buch (3) Das Buch Klara. İstanbul (II)
Buch (4) Die Zeit danach
Buch (5) Wenn alles gesagt ist

 

An den Bosporus

Die Wege der Trennung sind unerbittlich und schneller als alle
Geburt. Was von Tag zu Tag und mit jedem Gang durch die
Gassen und über die Märkte und mit jedem Verlangen, das fort-
während unerfüllt bleibt, hinzukam, erweist sich als Plunder,

sobald die Blicke der Leidenschaft stumpf sind wie eine rostige
Klinge, die im Kehricht liegt. Nicht ich, es handelt ein anderer
und wirft alles weg. Die Schuhe des Sommers, Notizen, auf die
Ränder einer Zeitung geschrieben, Gebrauchsgegenstände, halt-

barer als das eigene Leben, würden sie bleiben, wo sie jetzt sind.
In Kisten trage ich zur Tonne, was bis eben unverzichtbar war.
Wenn das Leben, das sich immerwährend Dauer wünscht, zur
Vergangenheit wird, ist jede Abfallgrube augen-/blicklich voll.

Am Bosporus stehen die Angler so nah beieinander wie keine
Sardelle auf dem Teller liegt. Wer Glück hat, fängt nichts und
kann länger träumen. Verkäufer bieten Mais an und Reis und
heiße Kastanien. Wilde Hunde wärmen sich am Feuer, das sich

durch weiche Scheite Holz, zur Pyramide aufgeschichtet, auf-
wärts und nach oben trägt. Im Wellenschlag gegen die Mole
treibt seltenes Treibgut und zerschellt. Der Fluss ist eine Karto-
graphie der Begierde, eine Dublette aller Verschwendung, und

die Requisiten ziviler Betäubung gehen mit ihm wie das Fieber
einem kranken Körper folgt. Das Meer und seine Strände mit
ihren angeschwemmten Über-/schüssen, Rest-/beständen, ihrem
Bruch, sind schon die Erzählung der Welt, die sich zu keiner

Ordnung fügt. Wirr und verstoßen wie ausgesetzte Tiere, die zu
frieren beginnen im Herbst, gerät in den Strudel und versinkt, was
von Natur aus zu schwer ist. Das Leichte aber ist schon gebro-
chen, getrennt von seinem Ursprung, dem Ganzen. Oder es fliegt,

weil es dem Himmel näher als der Erde ist, der Liebe als Wesen
des Geistes tiefer verbunden als jeder Umarmung, die immer in
Ent-/zweiung an sich selber scheitert. Was sich zu nah kommt,
verliert sich zu früh aus den Augen. Nur Abstand schafft Nähe,

nur im Alleinsein hat Zweisamkeit Bestand, weil sie so fern aller
Zerstörungen bleibt. Auch das eine Wahrheit des Wassers: dass
es auflöst und neu verbindet, scheidet und fügt. Es sind Zeichen,
die mit den Wellen verschwinden, so wie die Dinge mir noch

einmal in den Händen liegen, ehe die Sonne sinkt in den Fluss,
wenn es soweit ist. Das alles ist Dispersion, Zer-/streuung von
Gewissheit und System. Und das ist auch, was bleibt: das Nichts
und seine Ewigkeit. Dann stürzte ich über die Treppe aus Stein

auf die Steine, schlug auf, wo der Ab-/fall schon lag, der mir in
Kisten aus den Händen fiel. Vor Kilyos, erfahre ich später, ver-
sank ein schwarzer, brüchiger Kahn, und es ertranken, während-
dessen, die Fremden.

Der Körper meiner Zeit. Gedicht

Verlag C. H. Beck, München 2016

206 Seiten, mit 96 Abbildungen
EUR 21,90
ISBN 978-3-406-69801-9